Die Serben sollten am Sonntag, den 26. April, ein neues Parlament wählen. Wegen des Coronavirus sind die Wahlen auf einen noch nicht festgelegten Termin verschoben worden. Es ist jedoch schwer, Aleksandar Vucic zu verdächtigen, dass er sich einer drohenden Frist entzogen hat: Der allmächtige Präsident scheint auf dem Höhepunkt seiner Popularität zu sein.
Bei den letzten Wahlen im April 2016 hatte sich seine Partei, die Serbische Fortschrittspartei (SNS, oft als Mitte-Rechts bezeichnet), der 50%-Marke genähert. Studien zeigen, dass sie diesmal 60% oder sogar 65% der Stimmen hätte erhalten können.
Herr Vucic ist ein Meister der ideologischen Flexibilität: er beherrscht die Kunst, ein sehr breites Spektrum von Bürgern anzusprechen. Als junger Informationsminister wurde er, als die NATO 1999 das Land angriff, im Westen als Ultranationalist angeprangert. Doch 2008 vollzog er eine Wende und half bei der Gründung der SNS, um eine Annäherung an die EU anzustreben.
Im Jahre 2016 hatte er seine Entscheidung zur Einberufung vorgezogener Wahlen sogar damit begründet, dass eine verstärkte Mehrheit erforderlich sei, um die von der Europäischen Union im Hinblick auf den Beitritt geforderten « Reformen » besser umsetzen zu können. Die genannten Reformen waren in der Tat bereits ab den 2000er Jahren begonnen worden: massive Privatisierungen, Umstrukturierungen, « Lockerung » des Arbeitsgesetzes.
Der Präsident ist stolz darauf, die Arbeitslosigkeit gesenkt zu haben, offiziell auf weniger als 10%. Auf der anderen Seite bleibt der Lebensstandard mit einem durchschnittlichen Gehalt von 500 Euro pro Monat für die meisten Menschen ein Problem. Er rühmt sich auch, den Bau neuer Infrastrukturen in Angriff genommen zu haben, von denen einige derzeit fertiggestellt sind.
Doch während er sich weiterhin der europäischen Integration verpflichtet fühlt, versteht es der starke Mann des Landes auch, mit den Millionen seiner Mitbürger zu sprechen, die noch immer eine emotionale, historische, kulturelle und geopolitische Verbindung zu Russland haben. Er versäumt es nie, die « unerschöpfliche » Freundschaft mit Moskau zu erwähnen, und hat viele Besuche mit Wladimir Putin ausgetauscht.
Eine andere Nähe beunruhigt nun auch die Westler. Wenn Russland auf wirtschaftlicher Ebene im Energiebereich – Öl, Gas,… – sehr präsent ist, so hat China seinerseits weitgehend in den Bergbausektor und in Rohstoffe sowie in die Stahlindustrie investiert.
Das Image der EU scheint sich im Zusammenhang mit der Gesundheitskrise verschlechtert zu haben
Und kürzlich war Peking seit Beginn der Covid-19-Pandemie offenkundig präsent. Die Ankunft von chinesischer Ausrüstung und chinesischem Personal wurde spektakulär inszeniert. Die Serben hatten also keinen Mangel im Gesundheitswesen, wie es in vielen Ländern der Europäischen Union der Fall war. Während der serbische Staat oft als zerfallend und korrupt beschrieben wird, liegt die Zahl der Todesopfer in einem Land mit mehr als 7 Millionen Einwohnern kaum über 100. Eine Effizienz (zwar um den Preis einer sehr strikten Ausgangssperre), die Aleksandar Vucic zugeschrieben wird.
Dieser zögerte nicht, die Chinesen ostentativ zu loben und im Gegensatz dazu den « Egoismus » der EU zu stigmatisieren, die als unfähig zur « Solidarität » mit Italien beurteilt wurde. Was Belgrad nicht daran hindert, die mit Brüssel 2014 angefangenen Beitritts-« Verhandlungen » fortzusetzen.
Das Image der EU scheint sich im Zusammenhang mit der Gesundheitskrise verschlechtert zu haben. Schon davor waren nicht so viele Bürger im Herzen europabegeistert. Ein großer Teil von ihnen stellt sich eher vor, auf pragmatische Weise wirtschaftlichen Nutzen aus dieser EU zu ziehen. Aber gefühlsmässig ist die Nähe zum « großen russischen Bruder » stärker.
Gekonnter Spagat
Jedenfalls versteht es Aleksandar Vucic, einen gekonnten Spagat gegenüber seinen Partnern im Westen und im Osten zu vollziehen. Premierminister im Jahr 2014, 2016 erneuert, wurde er 2017 zum Präsidenten gewählt, mit erheblich erweiterten Befugnissen für diese Funktion. An diesem Tag ernannte er, unter Beibehaltung seines Bündnisses mit der Sozialistischen Partei Serbiens (SPS, 1990 vom Präsidenten Milosevic gegründet), einen « Techno »-Premierminister mit einem besonders untypischen Profil: Ana Brnabic, die erste Frau an der Spitze einer serbischen Regierung, ist kroatischer Abstammung und macht keinen Hehl aus ihrer Homosexualität – eine Herausforderung in einem Land, das stark von einer konservativ-orthodoxen religiösen Tradition geprägt ist.
Die Ernennung dieser 43-jährigen Beamtin, die in den Vereinigten Staaten ausgebildet wurde, war ein neuer Beispiel des Vucics Geschicks: das gab gegenüber Brüssel Garantien des « Modernismus » und mähte der « liberalen » Opposition das Gras unter den Füßen weg. Darüber hinaus kommt die Stärke des Präsidenten auch aus der Schwäche seiner Gegner. Die Opposition setzt sich einerseits aus der « souveränistischen » Tendenz zusammen, die insbesondere von der Demokratischen Partei Serbiens (DSS) verkörpert wird; und andererseits aus der Demokratischen Partei (DS), die nach dem Sturz von – Präsident Milosevic im Jahr 2000 an die Macht kam. Die DS war dazu von den Westmächten gesponsert worden.
Letztere hatten also damals auf die DS gesetzt, die nun der Partei der Europäischen Sozialisten angehört, um sofort den Prozess des Bruchs mit dem jugoslawischen Sozialismus und der Angleichung an den Westen einzuleiten. Aber seit einigen Jahren hat die DS an Bedeutung verloren, etwa wie die französische sozialistische Partei.
Aus dieser liberalen « Linken » gingen dann viele kleine Parteien hervor, von denen einige noch nie an einer Wahl teilgenommen haben, deren Chancen aber sehr gering erschienen, wenn die Wahlen zum vorgesehenen Termin stattgefunden hätten. Vielleicht hatten deshalb mehrere Oppositionsführer zu einem Wahlboykott aufgerufen. Offiziell wurde dies mit der Dominanz der Freunde des Staatsoberhauptes über die Medien, die Verwaltung und die Justiz gerechtfertigt.
Bereits aufgrund dieser Vorwürfe, autoritär zu sein, hatte sich im Januar 2019 eine Protestbewegung entwickelt (ausgelöst durch die Prügel eines Gegners), die bis 50.000 Demonstranten auf den Straßen Belgrads versammeln konnte.
Das völlige Fehlen sozialer Forderungen und die mangelnde Organisation verurteilten diese Bewegung jedoch dazu, nicht mehr als ein Strohfeuer zu sein, das hauptsächlich die städtische oder studentische Bourgeoisie mobilisierte.
Eineinhalb Jahre später scheint das Fundament von Aleksandar Vucic, einem brillanten Seiltänzer, sicherer denn je.