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Die EU-Kommission begünstigt die Verlagerungen: der Fall Bridgestone-Béthune

Bridgestone Béthune

Der multinationale Konzern Bridgestone hat vor, sein Reifenwerk in Béthune zu schließen. Dabei geht es einerseits um den von Brüssel gewollten ökologischen Wandel und andererseits um die Verlagerungen nach Osteuropa, die  in diesem Fall auch noch durch europäische Fonds gefördert werden.

Am Mittwoch, dem 16. September, 11.00 Uhr stehen die Beschäftigten des Bridgestone-Reifenwerks in Béthune (Nordfrankreich)  unter Schock: Die Geschäftsleitung des japanischen Grosskonzerns hat angekündigt, dass sie den Standort im ersten Quartal 2021 schließen wird. Damit würden 863 Arbeitsplätze von der Landkarte verschwinden.

Sehr viele Familien wären betroffen, ganz zu schweigen von den Folgen für die vielen Subunternehmer. Die Leitung des japanischen Konzerns führt zwei Gründe für ihre Entscheidung an: zum einen die Konkurrenz durch die Reifenproduktion in Ländern mit « niedrigen Lohnkosten », zum anderen die « Überkapazität » in Europa.

Was das erste Argument angeht, so kann sich die Konzernleitung sehr wohl auf die Konkurrenz durch Billigarbeitskräfte berufen: Sie hat ständig und viel in Osteuropa investiert, gerade um vom Lohngefälle zu profitieren. Auf der anderen Seite sind die Investitionen in Béthune fast gleich null.

Insgesamt sind die Reifenimporte nach Frankreich in den letzten zehn Jahren um 151% gestiegen und übertreffen nun die Exporte. Was Bridgestone angeht, so ist die Produktion im Werk Poznan (Polen) von 24 auf 30.000 Einheiten pro Tag gestiegen. In Tatabanya (Ungarn), das Ende der 2000er Jahre gegründet wurde, verdreifachte sich die Produktion zwischen 2013 und 2017 nach einer Anschubinvestition von fast 270 Millionen Euro, während der Konzern gleichzeitig damit begann, die Belegschaft in Frankreich zu reduzieren.

Bridgestone erhielt erhebliche Subventionen von der Europäischen Union

Wenn dies auch keine Verlagerung im strengen Sinne des Wortes ist, so sieht es doch sehr danach aus. Aber es gibt Besseres – oder Schlimmeres… Der bedürftige multinationale Konzern erhielt erhebliche Subventionen von der Europäischen Union: Seine 139,1 Millionen Investitionen in Polen wurden von Brüssel mit 24 Millionen unterstützt. Genauer gesagt durch den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), dessen offizieller Zweck es ist, die am schwächsten entwickelten Regionen Europas zu begünstigen.

In einem Vermerk der Kommission aus dem Jahr 2013 wird diesbezüglich präzisiert, dass das Investitionsprojekt diese großzügige Anschubfinanzierung verdient, da es sich um « Spitzenprodukte » handelt, zu denen auch Innovationen gehören, die es insbesondere ermöglichen, die Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Darüber hinaus würde die Investition « 201 Arbeitsplätze » schaffen. Zum Preis also der späteren Schließung (insbesondere) seines französischen Werks.

Hier setzt das zweite Argument des Unternehmens an, das sich auf « Überkapazitäten in Europa » bezieht. In Wirklichkeit hängt dies einerseits mit einer Arbeitsteilung auf dem Alten Kontinent zusammen: « kleine Reifen » für Personenkraftwagen sind « profitabler », wenn sie in Niedriglohnländern hergestellt werden, während Fabriken im Westen diese « Wettbewerbsfähigkeit » bei den größeren (und profitableren) Reifen aufrechterhalten könnten, z.B. bei der Ausrüstung von SUVs (Sport Utility Vehicles). Aber in Béthune ist in dieser Richtung nichts investiert worden. Es sei darauf hingewiesen, dass andere Reifenhersteller der gleichen Logik folgen: Continental (das sein Werk in Clairoix, nördlich von Paris, liquidiert hat), Goodyear (das seine Werke in Amiens geschlossen hat) und sogar Michelin.

Da der « ökologische Wandel » weniger Kraftfahrzeuge beinhaltet, bedeutet dies zwangsläufig… weniger Reifen zu produzieren

Das hängt andererseits damit zusammen: Da der « ökologische Wandel » die Reduzierung der Grösse und der Anzahl der Kraftfahrzeuge beinhaltet, bedeutet dies zwangsläufig… weniger Reifen zu produzieren.

Das bisher jüngste Beispiel ist der Plan, « große Fahrzeuge » nach ihrem Gewicht (und damit insbesondere… SUVs) mit einem Zuschlag zu belegen. Dies wäre ein neues Handicap für einen durch den Lockdown verwüsteten Automarkt, dessen Nutzung u.a. mit der Perspektive leben muss, Verbrennungsmotoren durch Elektromotoren zu ersetzen, die viel weniger Arbeitskräfte benötigen.

Zwischen den Fronten

Die Mitarbeiter von Bridgestone befinden sich daher zwischen den Fronten: den « Umwelt »-Richtlinien, die auf dem Automobilsektor, einschließlich der Ausrüstungshersteller lasten, und der Priorität der Verlagerung aus Gründen der « Wettbewerbsfähigkeit », d.h. der Gewinnmaximierung.

Der französische Wirtschaftsminister Bruno Le Maire kann zwar hämmern, dass « Verlagerung » und « Reindustrialisierung » « Prioritäten » seien. In Wirklichkeit werden die Standortverlagerungen jedoch mit ziemlicher Sicherheit weitergehen, denn für die Europäische Union ist es verboten, … sie zu verbieten. Und das aus gutem Grund: Es ist dies die eigentliche Definition des Binnenmarktes. Kapital und Güter können darin frei zirkulieren, ganz nach Lust und Laune der Unternehmen und Investoren.

In dieser Hinsicht ist Polen ein Fall aus dem Lehrbuch: Es erhält weiterhin Werke, die von den großen Konzernen für den Westen als « zu teuer » angesehen werden. Und Warschau gewinnt an allen Fronten, da das Land einerseits von diesen großen Abwanderungen; und andererseits von massiven Finanztransfers, insbesondere über den EFRE, profitiert. Subventionen, die angeblich benachteiligten Regionen helfen sollen, die aber in Wirklichkeit mehr den großen Konzernen – den westlichen oder, in diesem Fall, den Japanern – als dem polnischen Volk zugute kommen.

Übrigens finden Verlagerungen nicht ausschließlich nach Osteuropa statt. Im vergangenen Juni kündigte der belgische Konzern Schréder an, dass das Werk Comatelec (Zentral-Frankreich), das Außenbeleuchtungen herstellt, seine Produktion an den spanischen Standort Guadalajara verlagern wird (rund hundert Arbeitsplätze). Lokale Mandatsträger – die lokalen Behörden sind die Hauptkunden des Unternehmens – hatten sich vorgestellt, dagegen zu protestieren, indem sie drohten, ähnliche, aber immer noch in Frankreich hergestellte Produkte zu kaufen. Noch einmal Pech gehabt: Das Gesetz über das öffentliche Auftragswesen verbietet es, eine solche Bedingung zu stellen. Es würde in der Tat im Widerspruch zu den Regeln des europäischen Binnenmarktes stehen.

Im Jahr 2005 vertraute die Polin Danuta Hubner, damals EU-Kommissarin für Regionalpolitik, der französischen Tageszeitung La Tribune an: « Standortverlagerungen in Europa müssen gefördert werden » – eine Vertraulichkeit, deren Offenheit sie sehr schnell bedauerte. Seitdem aber wurde diese Linie mit großer Konsequenz verfolgt…

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