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Öl : der Krieg der Giganten

La guerre du pétrole

Ein bisher noch nie dagewesener (wenn auch nur vorübergehender) Rückgang des Weltrohölverbrauchs, diente als Auslöser für eine Konfrontation zwischen Washington, Moskau und Riad. Der Preiseinbruch führt zu einem Gemetzel unter den Produzenten in Texas.

Während fast ausschließlich der « Krieg » gegen das Coronavirus im Rampenlicht steht, findet im Hintergrund eine gigantische Schlacht zwischen den großen Ölmächten statt. Obwohl die Konfrontationen schon seit mehreren Jahren in der Luft lagen, hat die Epidemie mit ihren dramatischen wirtschaftlichen Folgen nun die Gelegenheit dazu geboten, diese offen auszutragen.

Dem Szenario zufolge fand das erste Scharmützel am 6. März in Wien am Sitz der Organisation der erdölproduzierenden Länder (OPEC, der Saudi-Arabien, die Golfstaaten, Iran, Irak, Libyen, Venezuela und Nigeria angehören) statt. Riad lud die Mitglieder der Organisation zu einer Dringlichkeitssitzung ein; eingeladen waren auch die Mitglieder der « OPEC+ », einer 2016 geschaffenen Erweiterung um zehn zusätzliche Länder, der insbesondere auch Russland angehört. Die Verwüstungen durch die globale Pandemie beginnen in der Tat, den Verbrauch des schwarzen Goldes in den Keller zu stürzen, bis hin zu einem Punkt, der den Rohölpreis schwer belastet. So fiel der Preis des Barrel (160 Liter), der Anfang Januar bei 70 Dollar lag, Anfang März auf 50 Dollar.

Der saudische Minister schlug vor, den Preisverfall durch eine freiwillige Reduzierung der Förderung zu begrenzen. Sein russischer Kollege antwortete, dass er nicht dagegen sei, vorausgesetzt, dass alle Produzenten der Welt sich verpflichten, ihren Teil dieses Opfers zu bringen, angefangen mit Washington. Die Vereinigten Staaten wurden 2018 zum weltweit führenden Produzenten, mit einem Rekord von fast 13 Millionen Barrel pro Tag (MB/d), die 2019 dank des durch Fracking gewonnenen Öls, das etwa die Hälfte des Gesamtvolumens ausmacht, gefördert wurden.

Aber Uncle Sam, der nicht Teil der OPEC+ ist, hat nie einer Selbstbeschränkung zugestimmt. Eine Einigung war daher in Wien nicht möglich. Saudi-Arabien beschloss daraufhin, den Spiess umzudrehen und den Markt zu überschwemmen. Sie pumpten immer mehr und stiegen von 9,8 MB/d auf 12. Moskau, der zweitgrößte Produzent der Welt (10,7 MB/Tag), musste diesem Beispiel folgen und ebenfalls seine Förderung erhöhen, während es gleichzeitig die Haltung Riads als « irrational » qualifizierte.

Aber die Lage wurde weiter erschwert: Immer mehr Länder auf den fünf Kontinenten entschieden sich für Ausgangsbeschränkungen. Die meisten kommerziellen Flüge wurden gestrichen, der Autoverkehr war stark rückläufig und der Energieverbrauch der Industrien begann einen Sturzflug. Anfang April erreichte das Ungleichgewicht zwischen dem weltweiten Angebot (etwa 100 MB/Tag) und dem Einbruch der Nachfrage 25 MB/Tag oder sogar 30 MB/Tag, ein in der Geschichte des schwarzen Goldes noch nie dagewesenes Niveau.

So dass Ende März der Kurs unter 20 Dollar pro Baril fiel. (Am 20. April fielen einige kurzfristige Kaufverträge sogar bis zu « negativen Preisen » hinunter: Händler waren bereit, für den Verkauf des von ihnen erworbenen Rohöls zu zahlen, aber niemand wollte es kaufen. Tatsächlich waren die US-Reservoire kurz davor, überfüllt zu sein. Ein Bohrstopp ist besonders kostspielig. Diese völlig unerhörte Situation blieb jedoch eine Ausnahme, und Mitte Mai war der Rohölpreis der Sorte Brent wieder bei etwas 30 Dollar).

Am 9. April traf sich die OPEC+ erneut. Die Länder einigten sich schließlich auf einen Gesamtrückgang von 9,7 MB/d, d.h. ein Zehntel der Weltproduktion – das ist ein gigantischer und beispielloser Vorgang. Am 10. April zögerte Mexiko jedoch. Es dauerte weitere zwei Tage, bis unter den 23 vertretenen Ländern Einstimmigkeit erzielt wurde. Riad und Moskau vereinbarten, die Produktion um jeweils 2,5 MB/d zu reduzieren. Der russische Minister ist jedoch der Ansicht, dass das Abkommen, das ab dem 1. Mai gilt, mindestens bis zum Ende des Jahres dauern muss, um sich spürbar auszuwirken, und noch länger, um zu den Preisen von Anfang 2020 zurückzukehren. Ein neues Treffen ist für Juni geplant.

Das Übereinkommen wurde gebilligt und unter den Schirm der G20 gestellt. Das Weiße Haus hat seinerseits keine verbindlichen Zusagen gemacht, auch wenn der russische Minister einen Rückgang der US-Produktion um 2 bis 3 MB/d in Aussicht stellt.

Am 12. April rief der amerikanische Präsident seinen russischen Amtskollegen an. Die beiden Männer betonten gemeinsam « die große Bedeutung der erzielten Vereinbarung ». Der Kreml präzisierte auch, dass ein Gespräch zwischen Wladimir Putin und dem saudischen König Salman im gleichen Geiste stattgefunden habe.

Offiziell haben die drei Ölgiganten daher einen Waffenstillstand geschlossen. Aber Beobachter glauben nicht an einen langfristigen Frieden. Schon allein deshalb, weil der beschlossene Rückgang der Fördermenge, so spektakulär er auch sein mag, nicht mit dem aktuellen Nachfragerückgang übereinstimmt. Doch der erzielte Kompromiss mischt die Karten neu.

Der Ausbruch der Feindseligkeiten

Mit der Weigerung, sich am 6. März vertraglich zu binden, setzte Moskau eine neue Strategie um, für die sich Igor Setchine, der Chef der staatlichen Ölgesellschaft Rosneft, ein sehr enger Freund von Wladimir Putin, eingesetzt hatte. Letzterer entschied zugunsten der Feindseligkeiten aus drei Gründen heraus.

Erstens, um kurzfristig den neuen amerikanischen Frackingölproduzenten (hauptsächlich in Texas) „an die Gurgel zu gehen“. Zugegebenermassen behindert der Rückgang des Rohölpreises die Öleinnahmen Russlands. Aber die durchschnittlichen Förderkosten in Russland liegen zwischen 15 und 20 Dollar pro Barrel. Es kann sich also behaupten, zumal es über Devisenreserven in Höhe von 450 Milliarden und einen « souveränen » (staatlichen) Fonds von 150 Milliarden Dollar verfügt.

Umgekehrt sind die texanischen Produzenten besonders anfällig, da sie Produktionskosten von 50 bis 60 Dollar pro Barrel haben. Wenn die Preise unter dieses Niveau fallen, werden sie die Suppe auslöffeln müssen, das wird umso härter sein, als sie schlecht kapitalisiert sind; sie riskieren auch, die Banken, die sie finanziert haben, mit nach unten zu ziehen. Dieses erste Ziel beginnt sich zu verwirklichen: Die Konkurse kleiner texanischer Produzenten nehmen zu. Die US-amerikanische Frackingölproduktion könnte um 40% zurückgehen.

Dieser Rückgang ist zwar ein Ergebnis der Marktkräfte und keine formelle Verpflichtung der US-Regierung. Tatsache bleibt aber, dass die Amerikaner zum ersten Mal dazu gebracht werden, den Regeln anderer Weltproduzenten zu folgen. Moskau kann also damit zufrieden sein.

Die texanischen Produzenten untergehen zu lassen, die seit mehreren Jahren den Markt stören, war auch das Ziel des saudischen Kronprinzen Mohammed Ben Salmane (MBS). Aber letzterer kann kaum triumphieren: Nach vielen Rückschlägen und diplomatischen und militärischen Misserfolgen hat er die Krise mehr durchlitten als gesteuert. Zwar hat sein Land die niedrigsten Förderkosten (5 bis 10 Dollar pro Barrel), aber die Finanzen des Königreichs verschlechtern sich doch in besorgniserregender Weise. Die umfangreichen Modernisierungspläne, die unternommen werden, verursachen beträchtliche Kosten, und erfordern ein Barrel zu 80 Dollar. Dies gilt umso mehr, als die brutalen Vorgehensweisen von MBS sowohl in Moskau als auch in Washington Zweifel an der saudischen Stabilität aufkommen ließen. Es scheint so, als suchten auch einige im Innern des Königreichs nach einer Alternative. Vor einigen Wochen ließ der Prinz zwei Mitglieder der königlichen Familie verhaften, von denen einer der CIA sehr nahe stand.

Das zweite Ziel Moskaus besteht mittelfristig darin, seinen Anteil am europäischen Markt nicht zu verringern

Das zweite Ziel Moskaus besteht mittelfristig darin, seinen Anteil am europäischen Markt nicht zu verringern. Im Jahr 2017 lieferte Russland 32% des Öls der EU und will seinen Platz als führender Lieferant behalten, den ihm die amerikanischen Ölkonzerne gerne wegnehmen würden… begünstigt durch die Selbstbeschränkungen der Produktion, die innerhalb der OPEC+ zur Preisstützung beschlossen wurden. Es ist auch klar, dass Washington alles tut, um den russischen Gasexporten auf den Alten Kontinent entgegenzuwirken, indem es sein eigenes Flüssiggas fördert, alles mit dem Ziel geostrategischer Dominanz.

In diesem Licht muss man auch die Versuche verstehen, Venezuela, das Land mit den größten bekannten Reserven an schwarzem Gold, zu destabilisieren. Möglicherweise haben sich die Verhandlungen zwischen Amerikanern und Russen hinter den Kulissen nicht nur auf die Produktion von Erdöl konzentriert, sondern auch auf die amerikanischen Sanktionen, die sowohl gegen Moskau als auch gegen Caracas gerichtet sind.

Schließlich könnten die Russen ein längerfristiges Ziel haben: sich als weltweiter Regulator der Rohölpreise zu positionieren.

In diesem Zusammenhang sind die Staats- und Regierungschefs der EU verärgert: Wegen des Mangels an Erdölressourcen können sie nur dabei zuschauen. Nur hatte die Kommission 2015 einen « strategischen Rahmen für eine belastbare Energieunion mit einer weitsichtigen Klimaschutzpolitik » vorgeschlagen.

Ein sehr theoretischer gemeinsamer Rahmen, weil die 27 in diesem wie in vielen anderen Bereichen oft unterschiedliche, ja sogar gegensätzliche Interessen haben.

 

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